Otto Schmidt Verlag

LAG Berlin-Brandenburg v. 5.9.2022 - 21 Sa 1900/19

24-Stunden-Pflege: Mindestlohn für Einsatz in der häuslichen Betreuung

Eine im Rahmen einer "24-Stunden-Pflege zu Hause" in Deutschland eingesetzte bulgarische Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Zahlung zusätzlicher Vergütung. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Betreuung der pflegebedürftigen Person 24 Stunden am Tag sichergestellt werden muss und die Pflegekraft neben ihren vergüteten Arbeitszeiten in erheblichem Umfang vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten zur Sicherstellung der Betreuung erbringen muss.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie wurde auf Vermittlung einer deutschen Agentur, die mit dem Angebot "24 Stunden Pflege zu Hause" wirbt, von ihrem in Bulgarien ansässigen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt, um eine hilfsbedürftige, über 90 Jahre alte Dame zu betreuen. Die ältere Dame lebte allein in ihrer Wohnung in einer Seniorenwohnanlage. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin war eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart. In dem Betreuungsvertrag mit der zu versorgenden Dame war eine umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten und ein Betreuungsentgelt für 30 Stunden wöchentlich vereinbart. Die Klägerin war gehalten, in der Wohnung der zu betreuenden Dame zu wohnen und zu übernachten.

Mit ihrer Klage fordert die Klägerin Vergütung von 24 Stunden täglich für mehrere Monate. Zur Begründung führt sie aus, sie sei in dieser Zeit von 6 Uhr morgens bis etwa 22/23 Uhr im Einsatz gewesen und habe sich auch nachts bereithalten müssen. Sie habe deshalb für die gesamte Zeit einen Anspruch auf den Mindestlohn. Der Arbeitgeber bestreitet die behaupteten Arbeitszeiten und beruft sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit.

Das LAG gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Revision der Parteien hob das BAG das Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung konkret geleisteter Arbeits- und Bereitschaftszeiten an das LAG zurück. Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme sprach das LAG der Klägerin den geforderten Mindestlohn erneut im Wesentlichen zu. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat auf Zahlung zusätzlicher Vergütung.

Die Betreuung der älteren, pflegebedürftigen Dame musste 24 Stunden am Tag sichergestellt werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme musste die Klägerin neben ihren vergüteten Arbeitszeiten in erheblichem Umfang vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten zur Sicherstellung der Betreuung erbringen. In den Zeiten, zu denen sich keine andere Person zur Betreuung in der Wohnung der älteren Dame aufgehalten hat, war die Klägerin verpflichtet, die Betreuung für den Fall der Fälle sicherzustellen.

Das LAG ist hierbei davon ausgegangen, dass die Klägerin die Beweislast für die erbrachten Bereitschaftszeiten trägt. Für einen kleinen Teil der eingeklagten Zahlungen wies das LAG die Klage ab, da es hinsichtlich dieser Zeiten nach der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt war, dass die Klägerin Bereitschaftszeiten geleistet hat. Dabei handelt es sich um Zeiten, die die ältere Dame mit Familienangehörigen in ihrer Wohnung oder im Restaurant verbracht hat.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Mindestlohn für ausländische Betreuungskraft
BAG vom 24.06.2021 - 5 AZR 505/20
Axel Groeger, ArbRB 2021, 327

Siehe zu dieser BAG-Entscheidung auch den Aufsatz von Thüsing, "Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich" – Zum Appell an die Politik, ZFA 2022, 294

LAG Berlin-Brandenburg: Berechnung der Arbeitszeit bei häuslicher 24-Stunden-Pflege
ArbRB 2020, 261

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.09.2022 10:29
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg PM Nr. 22 vom 6.9.2022

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