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Aktuell in der ZFA

Verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an ein paritätsgerechtes und verhältnismäßiges Arbeitskampfrecht (Stoffels, ZFA 2022, 201)

Das richterrechtlich geprägte Arbeitskampfrecht wird derzeit durch neue Streikformen auf die Probe gestellt. Dies gibt Veranlassung, sich mit den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an ein paritätsgerechtes und verhältnismäßiges Arbeitskampfrecht zu beschäftigen. Im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse soll sodann eine Stellungnahme zu dem aktuellen Phänomen der Tagesstreiks formuliert werden.

A. Einleitung

I. Das Arbeitskampfrecht als geronnenes Verfassungsrecht

II. Das Bundesarbeitsgericht als Ersatzgesetzgeber

III. Der Testfall: sog. Tagesstreiks in der Metall- und Elektroindustrie

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die richterrechtliche Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts

I. Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

1. Institutsgarantie als Ausfluss der Koalitionsfreiheit

2. Tangierte Grundrechtspositionen

a) Koalitionsfreiheit

b) Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie

3. Staatliche Pflicht zum Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen

II. Verfassungsrechtliche Grenzen der Streikfreiheit

1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Verhältnismäßigkeit als Grenze der Arbeitskampffreiheit

b) Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

(1) Warnstreiks

(2) Unterstützungsstreiks

(3) Flashmob-Aktionen

c) Verfassungsrechtliche Kritik der Entwertung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Grenze der Grundrechtsausgestaltung

(1) Verfehltes Verständnis der Kampfmittelfreiheit

(2) Priorisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Kosten anderer Rechtmäßigkeitsanforderungen

(3) Entwertung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

(4) Untermaßverstoß infolge der konturlos gewordenen und ihrer Funktion beraubten Verhältnismäßigkeitsprüfung

2. Grundsatz der Parität

a) Verfassungsrechtliche Grundlegung

(1) Grundvoraussetzung einer funktionierenden Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG)

(2) Regelungsauftrag an den Normgeber

(3) Grundsatz der staatlichen Neutralität

b) Bestimmung der Parität

(1) Materielle Paritätsbetrachtung

(2) Abstrakt-typisierende und tarifbezogene Betrachtungsweise

c) Missachtung des Paritätsgebots durch die neue Arbeitskampfrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

d) Konsequenzen für den Einsatz von Kampfmitteln

(1) Paritätsstörung infolge mangelnder Abwehrfähigkeit

(2) Paritätsstörung infolge ungleicher Risikoverteilung – das Element der Selbstschädigung

(3) Paritätsstörung infolge Ausnutzung besonderer Störanfälligkeit

3. Bezogenheit der Arbeitskampfmaßnahme auf den Abschluss eines Tarifvertrags

a) Verfassungsrechtliche Ausgangslage (Art. 9 Abs. 3 GG)

b) Verfolgung innergewerkschaftlicher Anliegen

c) Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes als Folge

C. Die Beurteilung so genannter Tagesstreiks im Lichte des Verfassungsrechts

I. Rechtliche Einordnung von Tagesstreiks

1. Hohe Eingriffsintensität

2. Verfolgung organisationsspezifischer Anliegen

II. Gestörte Parität besonders durch die Zulassung von Tagesstreiks

1. Keine adäquaten Reaktionsmöglichkeiten der von Tagesstreiks betroffenen Arbeitgeber

a) Kurzzeitige Abwehraussperrungen als Reaktion auf Tagesstreiks

b) Suspendierende Betriebs(teil)stilllegung durch bestreikte Arbeitgeber

c) Streikbruchprämien für arbeitswillige Arbeitnehmer

d) Einsatz von Zeitarbeitnehmern

2. Ungleiche Risikoverteilung durch „Flexi-Streikkonzept“

a) Der Tagesstreik – ein Kampfmittel, das kaum mit eigenen Opfern verbunden ist

b) Maximaler Effekt auf der anderen Seite

3. Paritätsverschiebung aufgrund besonderer Störanfälligkeit der Arbeitgeberseite

a) Branchentypisch hohe Störanfälligkeit in der Metall- und Elektroindustrie

b) Das hohe Schadenspotenzial von Tagesstreiks – ausgedrückt in Zahlen

4. Fazit: Verschärfung der Ungleichgewichtslage durch die Zulassung von Tagesstreiks

III. Tagesstreiks als regelmäßig unverhältnismäßige Reaktion

1. Beurteilung von Tagesstreiks anhand der abgesenkten Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Bundesarbeitsgerichts

2. Beurteilung auf der Grundlage eines verfassungsgemäß gehandhabten Verhältnismäßigkeitsmaßstabs

a) Eignung zur Herbeiführung eines Verhandlungsgleichgewichts

b) Vorrangigkeit milderer Mittel – insbesondere der Warnstreik herkömmlicher Prägung

c) Angemessenheit von Tagesstreiks

(1) Hohes Schadenspotenzial von Tagesstreiks und frühe Eskalation

(2) Ankündigungsfrist vor der Durchführung von Tagesstreiks

D. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Inhaltsübersicht

A. Einleitung

I. Das Arbeitskampfrecht als geronnenes Verfassungsrecht

II. Das Bundesarbeitsgericht als Ersatzgesetzgeber

III. Der Testfall: sog. Tagesstreiks in der Metall- und Elektroindustrie

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die richterrechtliche Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts

I. Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

1. Institutsgarantie als Ausfluss der Koalitionsfreiheit

2. Tangierte Grundrechtspositionen

a) Koalitionsfreiheit

b) Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie

3. Staatliche Pflicht zum Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen

II. Verfassungsrechtliche Grenzen der Streikfreiheit

1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Verhältnismäßigkeit als Grenze der Arbeitskampffreiheit

b) Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

(1) Warnstreiks

(2) Unterstützungsstreiks

(3) Flashmob-Aktionen

c) Verfassungsrechtliche Kritik der Entwertung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Grenze der Grundrechtsausgestaltung

(1) Verfehltes Verständnis der Kampfmittelfreiheit

(2) Priorisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Kosten anderer Rechtmäßigkeitsanforderungen

(3) Entwertung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

(4) Untermaßverstoß infolge der konturlos gewordenen und ihrer Funktion beraubten Verhältnismäßigkeitsprüfung

2. Grundsatz der Parität

a) Verfassungsrechtliche Grundlegung

(1) Grundvoraussetzung einer funktionierenden Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG)

(2) Regelungsauftrag an den Normgeber

(3) Grundsatz der staatlichen Neutralität

b) Bestimmung der Parität

(1) Materielle Paritätsbetrachtung

(2) Abstrakt-typisierende und tarifbezogene Betrachtungsweise

c) Missachtung des Paritätsgebots durch die neue Arbeitskampfrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

d) Konsequenzen für den Einsatz von Kampfmitteln

(1) Paritätsstörung infolge mangelnder Abwehrfähigkeit

(2) Paritätsstörung infolge ungleicher Risikoverteilung – das Element der Selbstschädigung

(3) Paritätsstörung infolge Ausnutzung besonderer Störanfälligkeit

3. Bezogenheit der Arbeitskampfmaßnahme auf den Abschluss eines Tarifvertrags

a) Verfassungsrechtliche Ausgangslage (Art. 9 Abs. 3 GG)

b) Verfolgung innergewerkschaftlicher Anliegen

c) Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes als Folge

C. Die Beurteilung so genannter Tagesstreiks im Lichte des Verfassungsrechts

I. Rechtliche Einordnung von Tagesstreiks

1. Hohe Eingriffsintensität

2. Verfolgung organisationsspezifischer Anliegen

II. Gestörte Parität besonders durch die Zulassung von Tagesstreiks

1. Keine adäquaten Reaktionsmöglichkeiten der von Tagesstreiks betroffenen Arbeitgeber

a) Kurzzeitige Abwehraussperrungen als Reaktion auf Tagesstreiks

b) Suspendierende Betriebs(teil)stilllegung durch bestreikte Arbeitgeber

c) Streikbruchprämien für arbeitswillige Arbeitnehmer

d) Einsatz von Zeitarbeitnehmern

2. Ungleiche Risikoverteilung durch „Flexi-Streikkonzept“

a) Der Tagesstreik – ein Kampfmittel, das kaum mit eigenen Opfern verbunden ist

b) Maximaler Effekt auf der anderen Seite

3. Paritätsverschiebung aufgrund besonderer Störanfälligkeit der Arbeitgeberseite

a) Branchentypisch hohe Störanfälligkeit in der Metall- und Elektroindustrie

b) Das hohe Schadenspotenzial von Tagesstreiks – ausgedrückt in Zahlen

4. Fazit: Verschärfung der Ungleichgewichtslage durch die Zulassung von Tagesstreiks

III. Tagesstreiks als regelmäßig unverhältnismäßige Reaktion

1. Beurteilung von Tagesstreiks anhand der abgesenkten Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Bundesarbeitsgerichts

2. Beurteilung auf der Grundlage eines verfassungsgemäß gehandhabten Verhältnismäßigkeitsmaßstabs

a) Eignung zur Herbeiführung eines Verhandlungsgleichgewichts

b) Vorrangigkeit milderer Mittel – insbesondere der Warnstreik herkömmlicher Prägung

c) Angemessenheit von Tagesstreiks

(1) Hohes Schadenspotenzial von Tagesstreiks und frühe Eskalation

(2) Ankündigungsfrist vor der Durchführung von Tagesstreiks

D. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse


A. Einleitung

Den Anlass dieser Untersuchung gaben die in der letzten Tarifrunde 2018 von der IG Metall erstmals umfassend durchgeführten Tagesstreiks, die zu rechtlichen Diskussionen über die Zulässigkeit dieser neuen Arbeitskampfstrategie geführt haben. Die folgenden Ausführungen sollen die Problematik allerdings in einen größeren, insbesondere verfassungsrechtlichen Zusammenhang stellen.

I. Das Arbeitskampfrecht als geronnenes Verfassungsrecht

Das Arbeitskampfrecht ist vom Gesetzgeber nicht näher ausgestaltet worden. Zwar findet der Arbeitskampf durchaus in einigen gesetzlichen Vorschriften Erwähnung (z.B. Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG, § 160 SGB III, § 11 Abs. 5 AÜG, § 25 KSchG,74 Abs. 2 BetrVG). Die zentralen Fragen, welche Kampfmaßnahmen zum Arbeitskampfrecht zählen, welches ihre Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind und welche Folgen sie zeitigen, hat indes weder der deutsche Gesetzgeber noch die Europäische Union1 beantwortet. Die notwendigen Konkretisierungen werden seit jeher im Wesentlichen der in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgten Koalitionsfreiheit entnommen. Diese, durch einige anerkannte Prinzipien (z.B. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) angereicherte Verfassungsnorm bildet mithin die zentrale Quelle, auf der das heutige Arbeitskampfrecht fußt. Hinzu kommen weitere verfassungsrechtlich garantierte Grundrechtspositionen der Akteure und ggf. der sonstigen Betroffenen.

II. Das Bundesarbeitsgericht als Ersatzgesetzgeber

Mangels gesetzlicher Normierung fällt es der Rechtsprechung, insbesondere dem Bundesarbeitsgericht zu, (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.06.2022 08:43
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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